Mittwoch, 7. Oktober 2015

Ein kleine Kurzgeschichte von mir: Ich-helfe-trotzdem-Streik



Es war ein Schultag wie er eigentlich immer war: Emmy hatte ihrer noch schlafenden Mutter noch einen Kuss auf die Stirn gegeben, sich das Schokobrötchen für die Pause aus der Schublade genommen und war auf Samtpfoten zur Wohnungstüre hinausgehuscht. Keinesfalls wollte sie ihre Mama wecken; bei ihr war es letzte Nacht wieder spät geworden.
Sie schnappte sich ihren Roller und wetzte davon. Auf ihrem weg zur Schule fing sie noch Justin und Marie ein, die ebenfalls in der Innenstadt wohnten.

Alles wie jeden Tag.
Wäre da nicht die zweite Schulstunde gewesen. Während der Mathestunde der 3c klopfte es an der Türe und die Schulleiterin Frau Steffens stand im Türrahmen. Sie bat die Klassenlehrerin Frau Harf heraus und Justin jubelte schon über eine vorgezogene Pause. Aber Pustekuchen: Frau Harf bat "Macht bitte auf Seite 46 weiter" und verschwand für eine ganze Weile in den Flur.
Das war unüblich und Emmy wurde schnell klar, dass es etwas sehr Wichtiges sein müsste, was Frau Harf da draußen zu hören bekam.


Erst als fast alle Kinder der 3c die Seite 46 schon fast zu Ende bearbeitet hatten, öffnete sich die Klassentüre wieder und herein trat die Klassenlehrerin mit einem kleinen, schwarzhaarigen Mädchen.
"Tolle Augen", dachte Emmy.
"Hübsch hübsch", dachte Justin. 


Frau Harf bat die Kinder in den Stuhlkreis, setzte das Mädchen neben sich auf die Bank und erklärte: "Dies ist Ashtar, eure neue Mitschülerin. Sie ist erst seit ein paar Tagen hier in Deutschland.."
Und schon unterbrach Justin: "... dann ist sie so ein Flüchlting wie im Fernsehen..."

 Frau Harf nickte.
"Ja, Ashtar ist aus dem Irak geflohen. Viele Wochen und Monate waren sie und ihre Familie unterwegs. Und nun wollen sie gerne in Deutschland leben, da es hier Frieden gibt und sie alle in Sicherheit leben können."

"Kann ich verstehen", meinte Justin. "Hier ist es ganz cool.... hier gibts ja auch die besten Fußballer der Welt."

Emmy spürte, dass Ashtar Angst hatte. Es war bestimmt sehr schwer, in eine neue Klasse zu kommen und dann noch in einem fremden Land.
"Frau Harf", meldete sie sich und fragte: "Spricht sie denn Deutsch?"
"Nein", entgegnete die Klassenlehrerin, "das muss sie noch lernen."


Emmy spürte urplötzlich etwas Starkes in sich aufkochen. Es war der Wunsch, Ashtar zur Seite zu stehen. "Sie kann neben mir sitzen", sagte sie laut. Frau Harf schaute zufrieden: "Du wirst eine gute Helferin sein."

Emmy war sich sicher: Wer so viele Tage und Nächte unterwegs war, um in einem anderen Land Schutz zu suchen, muss viel Blödes gesehen und erlebt haben. Und so jemand habe es verdient, dass ihm jemand zur Seite steht. 


Schon direkt als er zur ersten Pause schellte, ging sie zu Ashtar hin und sagte: "Ich bin jetzt für dich da!" Natürlich wusste Ashtar nicht genau, was Emmy da gesagt hatte, aber irgendwie verstand sie es dennoch und lachte.
"Nicht nur tolle Augen", dachte Emmy, "auch noch ein tolles Lachen"
Die beiden gingen also gemeinsam hinaus, setzten sich auf die Mauer und versuchten, sich mit Händen und Füßen zu unterhalten.

Emmy glaubte es kaum, aber es funktionierte.
"Mit dem Körper kann man richtig sprechen", erklärte sie Justin begeistert, als die beiden sich auf den Heimweg machten.
"Wie soll das denn gehen?" fragte er ungläubig.
"Komm morgen einfach zu uns und ich zeigs dir", antwortete Emmy. 


Gut gelaunt, stolz und freudig erwartend, ihrer Mutter alles zu erzählen, rannte Emmy kurz drauf die vier Stockwerke bis zur ihrer Wohnung hinauf und öffnete die Türe. Ihre Mama saß am Küchentisch und spielte ein wenig auf ihrem Tablet.
"Essen ist in der Mikro", sagte sie sofort und fragte zugleich: "Na, wie wars?"

"Wir haben eine neue Schülerin", sagte Emmy stolz, "und ich sitze neben ihr. Ich bin ihre persönliche Helferin."

Emmys Mutter schaute etwas skeptisch und fragte: "Wieso Helferin?"
"Sie heißt Ashtar und kommt aus... keine Ahnung woher... Aber sie kommt von da, wo Krieg ist und braucht jetzt Hilfe. Sie kann ja kein Deutsch!"


Urplötzlich stand Emmys Mutter auf und ihre Stimme wurde lauter: "Das hat sich die Schule ja schön ausgedacht. Jetzt setzen sie sogar Schüler ein, sich um diese Flüchtlinge zu kümmern..."
Dann wendete sie sich Emmy zu: "Ich möchte das nicht!"

"Was möchtest du nicht?", fragte Emmy. Sie wusste nicht, was plötzlich los war. War ihre Mutter nicht stolz auf sie?
"Ich möchte nicht, dass du neben diesem Mädchen sitzt und dass du ihr hilfst. Du musst auf dich und deine Schulleistungen achten. Damit hast du schon genug zu tun... Die Flüchtlinge sollen sich um sich kümmern und ganz schnell wieder nach Hause gehen..."

Emmy spürte, dass ihre Mutter ganz und gar nicht begeistert davon war, dass Kinder aus anderen Länden in Emmys Klasse gehen.
"Aber in ihrem Zuhause ist Krieg, Mama."

"Du setzt dich morgen woanders hin oder wir kriegen Ärger", erklärte ihre Mutter in einem ruhigen, aber ernsten Ton.

Genauso glücklich und hoffnungsvoll wie Emmy eben noch gewesen ist, so enttäuscht war sie nun.
Was sollte das bloß?
Was hatten Ashtar und ihre Familie ihrer Mutter bloß getan?
Warum war sie so sauer auf diese Flüchtlinge?

Hatte sie ein Recht, ihrer Tochter zu verbieten, die Helferin für Ashtar zu sein?

Mit einem Mal wurde Emmy wütend. Das konnte und wollte sie sich nicht gefallen lassen. Ihr hatte es gefallen, Helferin zu sein.
Sie stand auf, ballte ihre Faust auf den Tisch und schrie:
"Du hast mir immer gesagt, Helfen ist etwas Gutes.
Und nun helfe ich, ob du es nun willst oder nicht.

Egal, ob du oder andere Flüchtlinge doof findest: Wenn ich nicht helfen soll, dann trete ich ab jetzt in einen "Ich-helfe-trotzdem-Streik!!!"

Dann verließ Emmy die Küche, ließ die Pommes kalt und ihre Mutter klar im Kopf werden:
"Gegen diesen Willen werde ich nicht ankommen können..."







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Dies war nur eine erfundene Geschichte, aber ich würde mir wünschen, dass ab jetzt noch viel mehr auf den Tisch hauen und in den Ich-helfe-trotzdem-Streik treten.


Donnerstag, 1. Oktober 2015

Elternzeit und "draußen" brodelts

Mehr als sieben Monate ist es nun her, dass mein Kleiner das Licht der Welt erblickte. Unser Leben hat sich komplett verändert, aber genau das war ja auch der Plan. ;-)
Dass sich jedoch außerhalb unseres Mikrokosmos' Familie ebenfalls ein kompletter Veränderungsprozess vollzieht, damit hatte ich während meiner Schwangerschaft nicht in dem Maße gerechnet.

Ja, das Thema Flüchtlinge wird auch in diesem Blog Thema sein.
Denn das Thema Flüchtlinge ist ein Teil meines Lebens und das aller anderen geworden (auch wenn dies der ein oder andere nicht wahrhaben möchte).

War ich bis zu den Sommerferien noch ganz aktiv in meiner Schule zugegen, so hat sich dies ein wenig verändert. Ist ja auch klar: "Meine Kleinen" sind nun ja auch auf alle möglichen Schulen hier in der Gegend verteilt, so dass die emotionale Bindung nicht mehr ganz so intensiv wie ist wie sie es noch vor einem halben Jahr war.
Nicht mehr ganz so oft wie früher lasse ich mich blicken, bin aber trotzdem noch fleißig Webmasterin, zuweilen Kreativkopf und Senf-dazu-Geberin an meiner Schule.
Und im Februar geht es ja dann auch schon wieder los mit dem 100% Lehrersein.

Bis dahin stehen andere Dinge und zu allererst mein Sohn in erster Reihe!



Der Wunsch, für andere da zu sein, hat sich nun - im Zuge des Flüchtlingsansturms - ein wenig verlagert, wahrscheinlich auch wegen meines Berufes. Denn auch wir Grundschullehrer profitieren davon, wenn den Neuankömmlingen ein guter Start in Deutschland ermöglicht wird. Es erspart uns sehr viel Arbeit und vereinfacht die Integration der neuen Schüler/innen, wenn diese bereits im Vorfeld ein wenig Deutsch gelernt und ein bisschen Wissen über das Leben in Deutschland erlangt haben.

Da mich der Hass gegenüber dem Unbekannten, der uns tagtäglich über die Medien begegnet, ebenso wütend macht und mich daher immer noch stärker in Aktionismus fallen lässt, musste ich in meinem kleinen Umfeld einfach etwas für die Flüchtlinge tun.

Über Facebook und Co findet man ja leicht Wege, sich zu engagieren. Recht fix fand ich Wege, auch mit Baby "im Gepäck" etwas für die neuen Mitbürger zu tun: Mittlerweile lehre ich etwas Deutsch, sortiere in einer Kleiderkammer gespendete Wäsche (und was das zum Teil für tolle Sachen sind, die Menschen für andere Menschen abgeben möchten) und engagiere mich mit meiner Familie in einem örtlichen Flüchtlingsheim für die dort lebenden Menschen.

Und das Tollste daran? Es fühlt sich einfach nur super an, zu sehen, dass andere genauso Gutes (oder einfach nur 'Normales') für andere tun möchten. 

Also: Ran an die Arbeit! Wir müssen unser Land neu gestalten!
Es wird schon bald nicht mehr das alte Deutschland sein.




Und das ist auch gut so...